Überlastungsanzeige in der Pflege – Bedeutung, Pflichten und Handlungsempfehlungen
Die Pflegebranche in Deutschland sieht sich seit Jahren mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Ein akuter Personalmangel, hohe Krankheitsausfälle und die Überlastung des vorhandenen Personals führen häufig dazu, dass Pflegekräfte ihre Arbeit unter extremen Bedingungen verrichten müssen. Diese Überlastung gefährdet nicht nur die Gesundheit der Pflegenden, sondern auch die Sicherheit und das Wohl der Patienten. Um in solchen Situationen adäquat zu reagieren und rechtlich abgesichert zu sein, ist es wichtig, eine Überlastungsanzeige zu stellen.
Was ist eine Überlastungsanzeige?
Eine Überlastungsanzeige, auch als Gefährdungsanzeige oder Entlastungsanzeige bekannt, ist ein formeller Hinweis einer Pflegekraft an den Arbeitgeber, dass die Arbeitsbedingungen unzumutbar sind und die Pflegequalität dadurch beeinträchtigt wird. Sie signalisiert, dass unter den aktuellen Bedingungen weder die Sicherheit der Patienten noch die Gesundheit der Pflegekräfte gewährleistet werden kann.
Pflegekräfte sind nach §§ 611a, 242 BGB sowie §§ 15, 16 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ihre Vorgesetzten über Missstände oder eine drohende Gefährdungslage zu informieren. Damit schützen sie sich rechtlich, da sie das Haftungsrisiko auf den Arbeitgeber übertragen, wenn durch die Überlastung Fehler in der Pflege auftreten. Der Arbeitgeber wiederum ist gesetzlich verpflichtet, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Abhilfe zu schaffen.
Rechtliche Grundlagen der Überlastungsanzeige
Die rechtlichen Grundlagen für eine Überlastungsanzeige in der Pflege sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verankert:
- § 611a BGB: Arbeitnehmer sind verpflichtet, den Arbeitgeber auf potenzielle Schäden oder Missstände aufmerksam zu machen.
- § 15, 16 ArbSchG: Mitarbeiter müssen für ihre eigene Sicherheit und die der ihnen anvertrauten Personen sorgen und den Arbeitgeber über Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit informieren.
Wird eine Überlastungssituation nicht gemeldet, und kommt es infolgedessen zu Schäden bei Patienten, können die betroffenen Pflegekräfte haftbar gemacht werden. Durch eine Überlastungsanzeige kann dieses Risiko minimiert werden.
Wann sollte eine Überlastungsanzeige gestellt werden?
Eine Überlastungsanzeige sollte immer dann gestellt werden, wenn die Pflegekräfte das Gefühl haben, dass sie ihren pflegerischen Aufgaben nicht mehr ausreichend nachkommen können und eine Gefährdung der Patienten oder der eigenen Gesundheit droht. Typische Situationen sind:
- Personalmangel: Wenn zu wenig qualifiziertes Personal zur Verfügung steht und die verbleibenden Mitarbeiter übermäßig belastet werden.
- Überstunden und fehlende Pausen: Wenn die Arbeitszeiten zu lang sind und keine ausreichenden Pausen eingehalten werden.
- Verletzung der Pflegestandards: Wenn Pflegeleistungen nicht mehr in der gebotenen Qualität erbracht werden können.
- Psychische oder physische Überlastung: Wenn Pflegekräfte gesundheitliche Probleme durch die Arbeitsbelastung entwickeln.
Es ist ratsam, bereits vor der formellen Überlastungsanzeige das Gespräch mit der Pflegedienstleitung zu suchen, um mögliche Lösungsansätze zu besprechen. Falls sich die Situation dennoch nicht verbessert, sollte eine schriftliche Überlastungsanzeige eingereicht werden.
Wie wird eine Überlastungsanzeige verfasst?
Es gibt keine strikte Formvorgabe für die Überlastungsanzeige, jedoch sollte diese aus Gründen der Nachvollziehbarkeit stets schriftlich erfolgen. Eine mündliche Meldung ist zwar ebenfalls möglich, jedoch ist eine schriftliche Überlastungsanzeige beweiskräftiger und sollte aus Eigeninteresse immer bevorzugt werden. Dabei kann sie per Einschreiben versandt oder persönlich übergeben werden, wobei eine Empfangsbestätigung sinnvoll ist.
Wichtige Inhalte einer Überlastungsanzeige
Eine Überlastungsanzeige muss klar und sachlich die Überlastungssituation darstellen, sodass der Arbeitgeber nachvollziehen kann, welche Maßnahmen notwendig sind. Folgende Informationen sollten enthalten sein:
- Ort und Datum: Die Angabe des aktuellen Datums und des Ortes, an dem die Überlastungssituation auftritt.
- Name und Abteilung: Die genaue Angabe des Mitarbeiters und des Arbeitsbereiches (z. B. Station, Wohngruppe).
- Beschreibung der Überlastungssituation: Hier sollte detailliert beschrieben werden, warum die Überlastung besteht, seit wann die Situation anhält und welche Auswirkungen dies auf die Pflegequalität und die eigene Gesundheit hat.
- Folgen der Überlastung: Mögliche Konsequenzen für Patienten und Pflegekräfte, z. B. mangelnde Versorgung, erhöhte Sturzgefahr, gesundheitliche Probleme der Pflegekräfte.
- Bisher ergriffene Maßnahmen: Falls bereits Maßnahmen ergriffen wurden, um die Situation zu verbessern (z. B. Anpassung des Schichtplans), sollten diese ebenfalls genannt werden.
- Handlungsaufforderung: Aufforderung an den Arbeitgeber, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu ergreifen.
- Unterschrift: Die Überlastungsanzeige muss vom Verfasser unterschrieben werden.
Vorlage für eine Überlastungsanzeige
Max Mustermann
Pflegebereich: Station 1
Ort: Musterstadt
Datum: 20. Oktober 2023
An die Pflegedienstleitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit informiere ich Sie über eine bestehende Arbeitsüberlastung auf der Station 1. Aufgrund des aktuellen Personalmangels seit dem 01. Oktober 2023 bin ich nicht mehr in der Lage, meine pflegerischen Aufgaben in der erforderlichen Qualität auszuführen. Zurzeit sind nur 3 Pflegekräfte für 25 Patienten im Einsatz, was zu einer unzureichenden Versorgung führt. Es besteht eine erhöhte Sturzgefahr bei Patienten, da keine Begleitung bei Toilettengängen gewährleistet werden kann. Auch sind notwendige Pflegemaßnahmen wie Mobilisation und Wundversorgung nur eingeschränkt möglich.
Ich fordere Sie hiermit auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Personalsituation zu verbessern und die Versorgung der Patienten zu gewährleisten.
Mit freundlichen Grüßen
Max Mustermann
Was passiert nach einer Überlastungsanzeige?
Nach dem Einreichen einer Überlastungsanzeige ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Gefährdungssituation zu prüfen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Überlastung zu reduzieren. Dies kann beispielsweise durch die Einstellung von zusätzlichem Personal, eine Änderung der Dienstpläne oder die Umverteilung von Aufgaben geschehen. Sollte der Arbeitgeber nicht reagieren oder Druck auf die Pflegekraft ausüben, gibt es die Möglichkeit, die Heimaufsicht oder eine Pflegekammer zu kontaktieren. In einigen Bundesländern existieren Pflegekammern (z. B. in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen), die Pflegekräfte unterstützen und Beschwerden entgegennehmen.
Schutz vor Repressalien
Nach § 612a BGB sind Pflegekräfte vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie Abmahnungen oder Kündigungen nach einer Überlastungsanzeige geschützt. Sollte der Arbeitgeber trotzdem Druck ausüben, kann dies gerichtlich angefochten werden, wie ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aus dem Jahr 2018 zeigt, das zugunsten einer Pflegerin entschieden wurde, die nach einer Überlastungsanzeige abgemahnt wurde.
Fazit
Die Überlastungsanzeige ist ein wichtiges Werkzeug, um Missstände in der Pflege aufzuzeigen und sich rechtlich abzusichern. Pflegekräfte sollten nicht zögern, von diesem Recht Gebrauch zu machen, um ihre Gesundheit und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Eine sachlich verfasste Überlastungsanzeige ist der erste Schritt, um Verbesserungen herbeizuführen und sich vor Haftungsrisiken zu schützen.